Das Polare Paradox

 

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die Liebe des Autors

... gilt neben den Weisheitslehren dieser Erde der Neuen Musik (NM), wie sie seit spätestens 1945 von nahezu allen Kompositionsstudenten der Musikhochschulen weltweit kreiert wird. In jeder anderen Musik, sei es Klassik, Pop, Weltmusik, New Age, Jazz, selbst bei Indischer Klassik[1] gibt es nicht d-a-s zu hören, was nicht heißen soll, dass ich nicht all die genannten Musikrichtungen bisweilen schätze.
Hildegard sagt, "die Seele des Menschen ist musikalisch gestimmt. Beim Erklingen der Töne erinnert sie sich an das Paradies."
Seit 1945 ist also eine Verheißung des Klangs unterwegs, wobei sie sich schon zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts deutlich angekündigt hatte.

Endlich spricht der Klang für sich selbst.

Schöner als Neue Musik ist nur der Ton der Buddhas in tiefer Meditation, doch der klingt wie Nichts.
Ich sage "wie Nichts". Es ist nicht Nichts, es ist noch besser, was ja eigentlich unvorstellbar ist, denn etwas leidfreieres, also besseres als Nichts, lässt sich so gut wie nicht denken. Und doch: Genaueres ... in meiner "Partitur" (Das polare Paradox).

Das Problem der Neuen Musik ist meines Erachtens, dass sie noch viel zu viel Rückbezug nimmt auf die Tradition, aus der sie zweifelsohne entwickelt wurde, aber von der sie sich eben fundamental unterscheidet. So führt sie im Grunde ein Schattendasein als Unterabteilung des Klassikbetriebs. Solange hier die Ausgliederung nicht vollzogen wird, wird es die Neue Musik nicht als allgemein bekannte, eigenständige Musiksparte geben. Ich kenne sehr viele Menschen aller Generationen, aber keinen, nicht einen einzigen, der die Neue Musik wirklich kennt. Dies liegt nicht zuletzt an ihrer Inexistenz als eigene Musiksparte. Unter "neue Musik" wird allgemein die "neue" Musik irgendeiner Sparte verstanden, obwohl die einzige Musik, die den Titel "neu" zurecht trägt, tatsächlich die Neue Musik ist.
Der bekannte Filmkomponist Ennio Morricone, der in jungen Jahren Neue Musik gemacht hat (er hat sogar in einer „Band“ von italienischen Komponisten gespielt) und trotzdem abtrünnig wurde[2], nennt sie absolute Musik.
Die Geburt der Neuen Musik für alle (also nicht wie bisher eine Musik von Komponisten für Interpreten und andere, die beruflich mit dieser Musik zu tun haben)[3] wäre ein UKW (und Kabel etc.)-Radiosender für NM. Die jüngere Generationen werden dann einen unverkrampften Zugang zur NM haben, weil man aufgehört haben wird, NM nur mit intellektualisiertem Überbau oder Erklärungen, die für Nichtmusiker meist ziemlich uninteressant sind, zu präsentieren, anstatt sie einfach nur laufen zu lassen, eben sie zu spielen. Das bereits mitgeschnittene Material ist so gut wie unbegrenzt. Vielfältige Erfahrungen haben ergeben, dass Kinder keinerlei Berührungsängste mit Neuer Musik haben. Im Gegenteil.

Ich glaube, dass dieser Sender dereinst bestehen wird, weil er eine Notwendigkeit-in-sich-selbst[4] ist:
In dem Bereich, von dem es heißt, Deutschland habe der Welt (im Wettstreit und Verbund mit Österreich) die beste Musik aller Zeiten geschenkt, haben wir heute wieder die Möglichkeit Diener der Kunst zu sein. Österreich ist uns derzeit voraus: Dort wird an jedem Werktag um 23:05 Uhr im Radio Neue Musik gespielt.
Immerhin fast täglich; darum geht es. Auch an Sonn- und Feiertagen. Täglich. 24 Stunden.

 

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[1] obwohl sie die ausgereifteste Musik der Welt ist.
Für die Einordnung der anderen Kunstmusiktraditionen der Kulturen unter "Weltmusik" bitte ich um Nachsicht, in der Hoffnung, den Begriff Weltmusik aufgewertet zu haben: Bevor "Premiere" die Rechte an "Music Choice" für Deutschland aufgekauft hatte, konnte man hierzulande den Sender "Arabic" aus London rund um die Uhr ohne Werbung und Moderation empfangen. Das war Musik!

[2] dies ist natürlich ironisch gemeint. Die Debatten der 50/60iger Jahre um eine verbindliche Tonsprache haben ihren Sinn für mich darin gehabt, aufzuzeigen, dass der bisherige Mensch auch in seinen höheren Ausführungen kein Homo sapiens sapiens, sondern ein homo ideologicus ideologicus ist.

[3] etwas überspitzt

[4] oft versucht man den Begriff Kultur als Gegenstück zu Natur zu erklären. Hinter den beiden Gegensätzen steht ein analoger Mechanismus des Unbedingten, eine Art unbezwingbarer Trieb des Muss. Ein Imperativ. Mit anderen Worten: der Sender wird sein, weil er sein muss.
Deutschland hat zwölf Kulturradiosender, die sich der Neuen Musik verpflichtet fühlen. Warum bündelt man nicht das gemeinsame Commitment und gründet zusammen einen zusätzlichen Sender nur für Neue Musik und schenkt dadurch dieser wunderbaren Kunst ihre Existenz als allgemein bekannte Musiksparte?


Christian Reinhardt